Nikolai Brandes (*1981 Frankfurt am Main) ist Kunsthistoriker am Käte Hamburger Research Centre global dis:connect der LMU München. Er studierte in Berlin und Coimbra und arbeitete u.a. an der Technischen Universität Braunschweig und am Dänischen Nationalmuseum in Kopenhagen.
NB: Das letzte Mal, als ich Dich in Deinem Atelier besucht habe, haben wir uns viel über die Wirkung Deiner Bilder unterhalten, die sich auch aus den Beziehungen der Arbeiten untereinander ergeben, wenn man sie in einer räumlichen Konstellation betrachtet. Solche Beziehungen ergeben sich ja zwangsläufig in irgendeiner Form – etwa durch die Auswahl und Hängung mehrerer Arbeiten in einer Ausstellung, durch ihre mehr oder weniger zufällige Präsentation im Atelier oder, durch die Vertrautheit mit anderen Arbeiten von Dir, im Kopf des Betrachters. In unserem Gespräch sind wir dann beim Begriff des ‚Echos‘ gelandet. Nach meiner Erinnerung hast Du gesagt, dass Du Dir in Ausstellungen Deiner Arbeiten wünschen würdest, dass sich beim Betrachten einzelner Bilder immer wieder Echos weiterer Bilder erahnen lassen. Vielleicht wäre Dir ein anderer Begriff lieber, aber spielt das, was man Echo nennen könnte auch in Deiner Arbeitspraxis schon eine Rolle? Etwa, weil Du bestimmte Stimmungen oder formale Gestaltungen aus früheren Werken weiterentwickeln möchtest? Oder bist Du selbst überrascht, wenn Du Spuren älterer Arbeiten in neueren wiederfindest?
AR: Da sprichst du einige unterschiedliche Aspekte an. Die Malereien sind zunächst einmal Einzelbilder. Also trotz der Verwandtschaft, die sie teilweise untereinander aufweisen nicht etwa als Gruppe oder Serie gemeint. Sie sind erst mal Einzelbilder sowohl im Entstehungsprozess, als auch später in der Installation im Raum. Die natürliche (Bild-)-Begrenztheit des Tafelbildes trägt das auch in sich, finde ich. Gleichzeitig sind sie aber auch Teil eines größeren Gefüges unterschiedlicher Referenzen, kommen aus diesem und werden wieder darin eingespeist. So gibt es beispielsweise eine Gegenständlichkeit der Malerei und somit den Bezug zu Gegenständen unseres Alltags. Es gibt den Bezug zur Kunstgeschichte, also eine Wechselwirkung mit der Arbeit andere Künstler innerhalb eines bestimmten Zeitverlaufs. Und natürlich gibt es auch den Bezug unter den einzelnen Arbeiten im eigenen Werkprozess. Die Arbeiten entwickeln sich immer in einem zeitlichen und räumlichen miteinander. Praktisch entstehen im Atelier immer mehrere Arbeiten gleichzeitig, manchmal über Jahre hinweg. Die Ordnung darin ist nicht festgelegt oder in irgendeiner Weise geplant, sondern eher offen und organisch. Das wird dann in einer Weise auch in Ausstellungen bzw. beim Installieren einzelner Arbeiten im Raum erfahrbar. Je nach Bewegung des Betrachters vor den installierten Stücken im Raum wird die Arbeit als Einzelbild oder /und im Zusammenhang mit anderen Arbeiten sichtbar, wobei der Raum zwischen den Arbeiten sowohl trennt als auch verbindet. Dabei interessiert mich vor allem die tatsächliche Seherfahrung und nicht so sehr die von dir angesprochene mögliche Vertrautheit mit anderen Bildern von mir, die der Betrachter möglicherweise im Kopf hat. Ich halte das Installieren der Tafelbilder im Raum für eine dem Malen ebenbürtigen Praxis. Es erweitert den Malerischen Prozess. Die Wand und der architektonische Raum werden dann sozusagen zum „(Mal-)Grund“, während die einzelnen Stücke selbst die „Figur“ einbringen. Der Spielraum der Bildfläche des Tafelbildes findet beim Installieren oder Hängen sozusagen seine Erweiterung, sein Pendant im Raum und auf der Wand. Die Erfahrbarkeit einer solchen Installation / Hängung ist natürlich individuell und subjektiv unterschiedlich erfahrbar, aber ich orientiere mich da an meiner eigenen Seh-Erfahrung und versuche, dass eine offene Konstellation und ein Spielraum erfahrbar werden. Irgendwie zufällig, fragmentarisch aber doch zwingend und nicht willkürlich dabei. Zum Ergebnis komme ich durch Ausprobieren, Sehen, Spielen. Ein Ausstellen von Arbeiten, das auf eine Weise didaktisch, Inhalt vermittelnd, konzeptionell erdacht ist, oder einen (Re-) Präsentation Zweck verfolgt, interessiert mich dabei nicht.
Den Begriff Echo verstehe ich in deiner Frage (Ich kann mich ehrlich gesagt nicht mehr erinnern, dass dieser Begriff bei unserem Treffen aufkam) als eine Art Widerhall. Das kenne ich natürlich als Maler und Betrachter. Man steckt etwas hinein (Malerei) und es kommt als Folge etwas zurück. Zum Beispiel bringe ich vielleicht eine Bestimmte Absicht hinein in eine malerische Handlung und es kommt etwas zurück durch dieses Hineinbringen. Etwas, was auf der einen Seite mit dem „Hineinrufen“ zu tun hat, aber immer auch anders, neu und überraschend fremd zurück hallt. Das „Hineinrufen“ findet zwar naturgemäß immer statt, umso wichtiger ist mir dabei, dass man das, was man als Maler und Betrachter hineingibt, immer wieder losgelassen wird und einem möglichst offenen, unbefangenem, quasi hohlem Empfangen Platz macht. Der Grad des sensiblen Bewusstseins und der Achtsamkeit im jeweiligen Moment entscheidet darüber, ob und wie das Echo erfahren wird. Das gilt, wie gesagt, sowohl für das Malen selbst als auch für das Betrachten von Malerei. Mein Wunsch, wie du sagst, dass einzelne Bilder immer wieder Echos von anderen beim Betrachter hervorrufen, ist weniger ein Wunsch als vielmehr ein natürlicher, unvermeidbarer Mechanismus beim Betrachten von Bildern. Ich versuche allerdings schon einen möglichst großen Assoziationsraum zu lassen und das Fragmentarische des Einzelbildes im Gesamt-Kontext erfahrbar zu machen. In der Gegenständlichkeit der Bilder heißt das zum Beispiel, nicht so weit zu gehen, dass ein Illusionismus, wie wir ihn von Gegenständlicher Malerei kennen, entsteht, der ein deutliches Wiedererkennen des Bildmotivs vorschreibt, usw. Lieber wäre es mir dabei, wenn der Betrachter sich zwar durch das Betrachten einer Malerei an alte Seherfahrungen mit anderen Objekten erinnert, sie sich dann aber bei den oft unbewusst einsetzenden Erkennungs- und Definitions- Mechanismen nicht wirklich auf die betrachtete Arbeit anwenden lassen und darin eine Art Enttäuschung entsteht.
Abschließend noch kurz zum Weiterentwickeln früherer Arbeiten, die du ansprichst und die Frage zu den Spuren alter Arbeiten, die ich in neueren wiederfinde. Dass das, was du Echo nennst, sehr wohl eine Rolle spielt beim Arbeiten, hatte ich ja schon angedeutet. „Weiterentwickeln“ entspricht für mich auch einem natürlichen Bedürfnis mit und durch die eignen (künstlerischen) Handlungen zu wachsen. Ich tue das in kleinen Schritten, langsam und kontinuierlich, das erscheint mir persönlich am natürlichsten, am nächsten. Große Brüche dabei sind nicht so meins. Weiterentwickeln also nicht im Sinne von Erreichen einer Meisterschaft, der Absicht sich zu positionieren, dem Erfüllen einer linearen Verbesserung, oder dem Erreichen von Erfolgsvorstellungen. Es gibt auch keine voneinander abzugrenzenden, geplanten Projekte oder ähnliches. Eher eben ein ganz organisches Weiterentwickeln in alle Richtungen, ohne zu viel Absichten, welches sich eher „unter der Hand“ einstellt durch kontinuierliches Experimentieren, spielen, sehen, sich öffnen, befragen, usw. Das äußert sich dann auch in einem zeitlichen und formalen Ineinandergreifen verschiedener Formen und Fragen. Das offensichtlichste Beispiel dafür ist das Übermalen alter Bilder. Ich nehme mir immer wieder ältere, eigentlich fertige Bilder vor und bearbeite sie doch wieder aufs Neue. Dabei geht das Alte aber nie ganz verloren, sondern bleibt auf die eine oder andere Weise sichtbar und erhalten, aber eben verändert. Ich betrachte das, wie das Übereinanderlegen oder -stapeln von Gegenständen. Die Art und Weise, wie dann Spuren alter Arbeiten innerhalb eines Stückes in Erscheinung treten, ist vorher nicht geplant, nur bedingt kontrollierbar und nach vielen Arbeitsgängen am Ende in jedem Fall überraschend für mich. Das vermeintlich Altbekannte tritt dann „plötzlich“, unvorhergesehen als Neues und Fremdes hervor und verbindet sich zeitlich und räumlich materiell zu einer in sich verwobenen Einheit, die sich in ihrer erfahrbaren Logik von der Logik des zeitlich nach und nach aufeinanderfolgenden und räumlich übereinander gestapelten Logik der Praxis unterscheidet.
NB: Ich würde gerne direkt Deine Gedanken zu Deiner Arbeitsweise aufgreifen. Du betonst die mäandernde, suchende, spielerische Bewegung Deines Vorgehens, aber auch das gleichzeitige Arbeiten an mehreren Bildern, deren Entstehen sich dann zeitlich überlagert und auch bestehende Arbeiten überschreibt und als Palimpsest wieder miteinbezieht. Das beschreibst Du als „organisches“ Verfahren. Aber auch wenn Dir dieses Vorgehen vielleicht einfach liegt, ist es ja das Ergebnis einer bewussten Entscheidung für eine solche Arbeitsweise. Könntest Du sagen, wie Du dazu gekommen bist – vielleicht durch Lehrer oder Kollegen oder die Arbeitssituation im Atelier? Hast Du schon immer so gearbeitet? Und Du sprichst von der „Wechselwirkung“ mit der Arbeit anderer Künstler – interessiert Dich dabei auch deren Arbeitsweise?
AR: Ja, stimmt, eine bewusste Entscheidung für eine Grundhaltung, die einen offenen Prozess zulässt. Das schließt allerdings mit ein, dass im Machen auch eine Menge zunächst eher unbewusstere Handlungen vollzogen werden, von denen ich nicht immer weiß, was sie bedeuten oder wohin sie führen sollen. Handlungen, die konkretere, rational gesteuerte Absichten, Erklärungen, etc. außer Acht lassen und eher störend wirken. Als Grundhaltung weiß ich sozusagen genau, was ich will, im Machen weiß ich das aber dann nicht mehr so genau. Das planende, absichtsvolle Ich, das, was zeigen will, geht im Prozess dann teilweise bis ganz verloren. Es ist weniger senden, kreieren, planen, behaupten als vielmehr ein möglichst offenes empfangen, und entstehen lassen. Man macht ja beim Malen nicht nur etwas sichtbar, was vorher nicht sichtbar war, sondern man sieht und empfängt ja auch gleichzeitig das sichtbar gewordene. „…einfach liegen...“, wie du sagst, tut mir dieser offene, organische Prozess ehrlich gesagt gar nicht mal unbedingt. Es interessiert mich vielmehr am meisten. Es stellt die größere Herausforderung dar. Es ist für mich der bessere, wenn nicht der einzige Weg am Ende Erfahrungen zu machen, die über das, was ich kenne, und mir ausdenken kann, hinausgehen. „... einfach liegen...“ klingt nach Neigung und Talent, vielleicht auch nach einem einfachen Weg. Das ist es für mich nicht. Ich empfinde das Arbeiten auf diese Weise eher als schwierigen Balanceakt. Balance auch zwischen meinen zwei Gehirnhälften. Ich habe, denke ich einen relativ ausgeprägten analytischen Verstand. Kopflastig eben, bzw. linke- Gehirn-Hälfte-lastig. Hat auch seinen Platz, das in unserer Gesellschaft so geschätzte logische Denken, Planen, Konzipieren, Reflektieren, Begründen und Erklären, aber dem von mir angestrebten offenen künstlerischen Prozess steht es oft eher im Wege. Früher waren meine Arbeiten zum großen Teil sehr geprägt von diesem Denken. Das Malen wurden viel mehr als heute in den Dienst dieses Denkens gestellt. In meiner Studien-Zeit an der Karlsruher Kunstakademie habe ich die Maler der Moderne aber vor allem die der 60er Jahre kennengelernt. All die Künstler mit ihren Theorien, Pamphleten und ausgeprägten Positionierungs- Willen. In der Hochschule gab es auch eine starke Fraktion von Studenten, unter denen es notwendig erschien, alles, was man tat, intellektuell zu begründen und innerhalb des Kunstkontextes zu rechtfertigen, glaubhaft zu machen. Ich gehörte da eigentlich auch dazu, und mir kam sehr vieles als Willkür vor, was mir heute nicht mehr willkürlich erscheint. Also nein, ich habe nicht immer so gearbeitet. Es hat sich graduell dahin entwickelt auch durch eine gewisse Frustration, die sich für mich einstellte durch das selbstgeschaffene Korsett, des Intellekts, des konzeptionellen Denkens. Ich erkenne mehr und mehr, dass durch den Verstand nichts wirklich Neues entsteht. Neues in diesem Zusammenhang nicht als Anliegen, den Kunstbegriff zu erneuern oder ähnliches (dann wären wir ja wieder in der problematischen Beweisdimension), sondern einfach ganz empirisch als neue, überraschende, erweiternde persönliche (Seh-)Erfahrung. Der Verstand geht eben immer nur mit dem um, was er schon kennt, wie auch anders. Er setzt vielleicht Dinge, die er kennt, neu zusammen, aber es sind immer noch Dinge, die er kennt. Also für mich nicht das richtige Tool, um etwas entstehen zu lassen, was mich überrascht.
Mir fällt auch auf, dass wir in unserem westlichen Kultur-Kreis fast ausschließlich mit Dingen umgeben sind, die der Verstand hervorgebracht hat. Trotz aller Technologie sieht dadurch doch alles irgendwie gleich aus. Alles ist irgendwie designed. Auch die Kunst, scheint mir, wird immer angewandter, kommerzieller und sieht aus, wie alles andere, führt zu Seh-Erfahrungen, die sich immer weniger unterscheiden von Seherfahrungen mit anderen Objekten unserer Konsum-Gesellschaft. Das entspricht nicht meinem Bedürfnis.
Andererseits ist der analytische Verstand natürlich dennoch Teil von mir, und auch er soll deshalb seinen Raum bekommen in meiner Arbeit, aber eben nicht mehr mit der Dominanz, die einem offeneren Prozess im Wege steht. Oft kommt der Verstand erst später hinzu, es geschehen Dinge im spielerischen Umgang, die der Verstand im Moment des Entstehens gar nicht einordnen kann und es braucht oft Zeit die Dinge quasi mit dem Verstand einzuholen. Durch das Einholen und Reflektieren ergeben sich dann mit der Zeit eine Art Grid von Grundfragen an die Malereien, neue „Spielregeln“, die das Machen sozusagen im Hintergrund begleiten.
Das sind nur ein paar Aspekte, die mir bei deiner Frage wichtig erscheinen. Aber es gab bisher eine Menge „Lehrmeister“, die mich beeinflussen innerhalb meiner Arbeit. Ich merke aber dabei, dass es nur die wirklich persönlichen, emotionalen Erfahrungen mit Dingen sind, die ausschlaggebend sind, wenn es um die Frage geht, was sich dann auf irgendeine Weise im Arbeitsprozess manifestiert. Auch da spielt der Verstand eine untergeordnete, oder eben störende Rolle. Z. B. Alltagsgegenstände: Wenn ich einen Gegenstand sehe und mich ihm über die Ratio „näher“, Ihn zum Beispiel benenne, auf gewöhnliche Art nutze, oder mir eine Geschichte dazu erzähle, dann wird diese Erfahrung für mich wahrscheinlich keine große Rolle spielen in meinem Arbeitsprozess. Wenn ich ihn mir aber einfach „nur“ genau ansehe, so genau, dass ich ins Staunen gerate, was alles zu sehen ist, und ich seine Bezeichnung, seinen Nutzen, seine Geschichte vergesse, dann ist das eine ganz andere Erfahrung mit genau demselben Gegenstand, die viel tiefer geht und die sich dadurch sehr wohl eher unbeabsichtigt einspeisen kann in den Arbeitsprozess.
Und so ist es auch mit anderen Dingen, wie dem Musik- Hören, und dem Betrachten der Arbeiten anderer bildender Künstler. Ja, mich interessieren die Arbeitsweisen anderer KünstlerInnen sehr. Diese kann sich ja auf verschiedene Weise vermitteln. Durch die Arbeit selbst, durch Reproduktionen der Arbeit oder durch sprachliche Abhandlungen der KünstlerInnen selbst oder anderer, die über sie berichten. Mein eigentliches Interesse gilt dabei aber erstmal vor allem meiner Erfahrung mit der Arbeit selbst. In dieser ist ja naturgemäß die Arbeitsweise enthalten, wenn sie auch oft als Praxis nicht eindeutig nachvollziehbar ist.
Aber das gefällt mir daran auch mehr, als ein akademischer, didaktischer Umgang damit, in dem man quasi erklärt bekommen möchte, wie was gemacht oder gemeint ist. Ich frage mich beim Erleben von Kunst auch erstmal nicht, was sich der Künstler oder die Künstlerin dabei gedacht hat, oder wie das Objekt hergestellt wurde. Auf jeden Fall ist es mir immer lieber, zunächst mit der Arbeit an sich allein gelassen zu werden, damit sich dann jede Art der sekundären Erklärung der Arbeitsweise, auf eine wirkliche Erfahrung mit dem Objekt der Beschreibung bezieht. Den umgekehrten Weg kennt man natürlich auch. Auf diesem Weg geht man über das Wissen, den Verstand zur künstlerischen Erfahrung über. Das ist meiner Ansicht nach ziemlich schwierig, da das vermeintliche Wissen auf eine Weise befangen macht und einer offenen Empfangsbereitschaft im Wege steht.
NB: Wenn man Deine Bilder kennt, könnte man etwas überrascht sein, dass Du so sehr Deinen Anspruch betonst, nicht zu „kopflastig“ zu arbeiten. Eine große Rolle spielt bei Dir ja das Experimentieren im Umgang mit Farben und Materialien, das Schichten, Bearbeiten, Antrocknen lassen, Übermalen. Das ist zwar sicherlich ein intuitiver Prozess, aber einer in dem man eben auch Möglichkeiten entdeckt, Versuchsanordnungen wiederholt, Techniken lernt, perfektioniert und so weiter. In mancher Hinsicht gibt es da vielleicht sogar Parallelen zur Vorgehensweise in den Natur- oder Ingenieurswissenschaften, die ja auch z.B. das Verhalten von Materialien oder Technologien unter bestimmten Bedingungen experimentell erkunden und weiterentwickeln. Und in der Grundlagenforschung geschieht sowas noch nicht einmal unbedingt interessengeleitet oder anwendungsbezogen. Da sehe ich Parallelen zu Deinem Vorgehen, auch wenn ein Materialforscher seine Verfahren kaum als intuitiv beschrieben würde. Vielleicht lässt sich auch in der Kunst eine Unterteilung in einerseits rationale und andererseits intuitive, ergebnisoffene Vorgehensweisen gar nicht eindeutig aufrechterhalten.
Ich wollte aber noch auf einen weiteren Aspekt Deiner Bilder zu sprechen kommen, und da kommt es mir ganz gelegen, dass Du selbst das Thema Musik angesprochen hast. Deine Arbeitsweise mit ihren parallel entstehenden Werken hast Du schon geschildert: Die einzelnen Arbeiten sind durch ihr gleichzeitiges Entstehen oder ihre gelegentliche Neubearbeitung miteinander verflochten, die Möglichkeit, Zeitpunkte zu benennen, zu denen die Arbeit an einer Arbeit anfängt oder aufhört, ist kaum zu beantworten und es entsteht der Eindruck eines kontinuierlichen, fließenden Arbeitsprozesses. Im Gegensatz zu diesem fließenden Prozess beschreibst Du aber auch die Freude am Unerwarteten und Überraschenden, das im Werk manchmal hervortritt. Das kann ich gut nachvollziehen, auch für mich leben Deine Arbeiten gerade von Ihren irritierenden Momenten. Du hast mir erzählt, dass Du früher viel mehr versucht hast, die Oberflächen Deiner Arbeiten z.B. durch Epoxidharz zu fixieren – und dass Du jetzt eigentlich eher neugierig bist, was passiert, wenn Lacke verdunsten, Farbschichten schrumpfen, Ränder sich zurückziehen etc. Das Entstehen solch ungeplanter, aber eben auch bewusst zugelassener Störungen ist für Dich heute ein Teil des Arbeitsprozesses. Ich muss dabei an Glitch und andere Formen experimenteller elektronischer Musik der ausgehenden 1990er denken, die etwas sehr Kontemplatives hatten, aber inmitten dieser technikaffinen Zeit auch Störgeräusche zuließen – Netzbrummen, analoge Verzerrungen, Datenkompressionen etc. In dieser Zeit hat Deine künstlerische Arbeit ihren Ausgang genommen. Denkst Du, dass es da auch bei Dir eine Verwandtschaft zum Zeitgeist dieser Zeit geben könnte? Manchmal drückt sich ein ästhetisches Muster einer Zeit ja in verschiedenen Disziplinen der Kulturproduktion aus, das ist ja nicht auf die Musik beschränkt. In der Münchner Pinakothek der Moderne eröffnet in ein paar Monaten eine Gruppenausstellung mit dem Titel „Glitch. Die Kunst der Störung“. Interessiert Dich so eine Fragestellung? Natürlich geht es dort vor allem um computergestützte, zeitbasierte Kunstformen…
AR: Kurz erst einmal zum ersten Teil deiner Frage, in der du nochmal den Begriff der Intuition aufgreifst und Parallelen zu Vorgehensweisen in den Naturwissenschaften ansprichst. Auch wenn ich ehrlich gesagt nicht sehr viel weiß über die Vorgehensweisen der Naturwissenschaften oder der Grundlagenforschung, kommt mir dennoch, neben den von dir genannten, vor allem eine sehr grundlegende Parallele in den Sinn, ein Aspekt, der auch mit dem Begriff der Intuition zu tun hat. Ich glaube, dass, ähnlich, wie ich es im Zusammenhang meiner Arbeit genannt hatte, die eigentliche naturwissenschaftliche Erkenntnis vielleicht gar nicht so sehr aus dem Intellekt, dem Verstand herauskommt. Erkenntnis, Entdeckung also nicht unbedingt nur als Ergebnis von logischen Schlussfolgerungen. Natürlich gibt es da das akademische Wissen, die Logik, die Versuchsanordnungen, Methodik, das Organisieren von Information, etc., die dabei ihre Rolle spielen, aber die Erkenntnisse, das Neue, wird nicht entdeckt vom Intellekt. Sie kommt, so könnte man vielleicht sagen aus der Intuition. Wenn ich von intuitiv spreche im Zusammenhang meiner künstlerischen Praxis, meine ich im Grunde eher den Versuch, einen Weg vom Denken zum Fühlen einzuschlagen. Das ist vielleicht irreführend, denn wenn es gelingt vom Denken zum Fühlen zu gelangen, ist man noch nicht zwangsläufig bei der Intuition. Aber es scheint mir wie ein Ort, wo sich Denken und Intuition sozusagen begegnen können. Ansonsten kommt es mir ehrlich gesagt immer mehr so vor, als seien Denken und Intuition tatsächlich eher wie polare Gegensätze. Es ist zwar beides Teil unseres menschlichen Potentials, und beides wirkt mit im künstlerischen Prozess, aber wenn man mal aufmerksam darauf achtet, wird man glaube ich, merken, dass man nie gleichzeitig denkend und intuitiv ist. Wenn etwas durch Intuition gefunden wurde, kann man dieses zwar hinterher wiederum mit Hilfe des Intellekts zu beschreiben, interpretieren, erklären etc. versuchen, aber entdeckt wurde es nicht durch ihn. Auch wenn es offensichtlich eine Menge Maler( -Innen) gibt, bei denen intuitives Handeln eine weit größere Rolle spielt, als das bei mir der Fall ist, hier vielleicht dennoch kurz ein aktuelles Beispiel meiner Arbeit dazu, nämlich die Hinterglasmalereien, an denen ich mich gerade versuche. Lange hatte ich die Absicht das mal zu versuchen, hinter oder auf Glas zu malen. Es waren einfach Seherfahrungen mit Malerei hinter bzw. auf Glas, aber auch mit anderen Gegenständen, wie zum Beispiel Fenster(-Scheiben), Schaufenster oder Vitrinen, die ich immer wieder als reizvoll erlebte. Vielleicht gehe ich mal an anderer Stelle darauf ein, was mir daran interessant erscheint und welche Beispiele aus der Kunstgeschichte mir da in den Sinn kommen. Auf jeden Fall habe ich für mich selber lange keinen Weg oder zwingenden Ansatz gefunden, um mich da mal dran zu wagen und habe die Absicht immer wieder fallen lassen. Mein Interesse an Gegenständen (und auch am Gegenständlichen in der Malerei) und am Betrachten dieser führt zu einer Art innerem Bilderarchiv , in dem sich dann in diesem Falle auf unerwartete Weise zwei voneinander unabhängiger Seh- Erfahrungen bezüglich zweier verschiedenen Gegenstände, wenn man so will intuitiv, also plötzlich, überraschend und ohne danach zu suchen zu einer Idee verknüpften (dies als Beispiel, dass ich da nicht durch Suchen, methodischen Prozessen, Logik, narrativem Inhalt, etc. zu einer Idee komme). Zum einen bin ich im Baumarkt zufällig auf ein Regal mit Wechselrahmen gestoßen, wovon einer ausgepackt herumstand. Die klassischen billigen Wechselrahmen, die nur die Klammern haben, um die Glasplatte an der MDF- Rückwand zu halten. Jeder kennt die seit ewig, so dass man sie wahrscheinlich tendenziell nicht als besondere Objekte wahrnimmt. Diese Bilderrahmen verbindet man vielleicht auch oft mit billigem Standard. Mir ging das in dem Moment allerdings nicht so, eher kam ich ins Staunen, was für eine spezifische, eigene Qualität die als Objekt haben. Das liegt wahrscheinlich an der an der offenen, gedankenlosen, genauen Art des Sehens, die ich an vorangegangener Stelle in unserem Schriftwechsel schon mal erwähnt hatte. Zum anderen fielen mir alte Fotoalben in die Hände, und zwar solche, bei denen die Seiten mit klebenden Gummierungsstrukturen versehen sind, um Fotos ohne Fotoecken an ihrem Platz zu halten, und die dann mit einem transparenten, glänzenden Umschlag versiegelt werden. In diesem Falle waren die linear angeordneten Klebestreifen durch Alterung grau-gelb verfärbt und alte Fotos, die wieder entfernt wurden, haben ihre Spuren hinterlassen. Beide Objekte haben offensichtlich Gemeinsamkeiten, wie mir später auffiel. Beispielsweise haben beide von Natur aus ein rechteckiges (Standart-)Format und (- Größen), sie haben eine transparente, glänzende Oberfläche, sie bestehen aus der Schichtung von verschiedenen Materialien, sie sind dazu da, Bilder zu tragen, zu schützen und zu präsentieren, bei beiden dominiert die Fläche, etc. Diese Eigenschaften haben wiederum eine formale Verwandtschaft mit Tafel-Malerei selbst.
Auf jeden Fall kam mir sozusagen unbeabsichtigt, plötzlich und eher gedankenlos eine Bild-Idee, in der sich beide Objekte bzw. beide Seherfahrungen miteinander verbinden, übereinanderschieben. Ich kaufte also erst mal einen dieser Wechselrahmen, nahm das Glas weg und nutzte die mdf- Rückwand, sozusagen auf meine Weise der eigentlichen Nutzungsbestimmung entsprechend als (Tafel-) Bildträger, indem ich sie direkt bemalte. Und zwar auf eine Weise gegenständlich mit dem „Bild“, was sich ergibt beim Anblick einer der besagten Fotoalbums- Seiten. Ich malte also mit Acryl grau gelbliche diagonale Streifen- Struktur auf eine weiße Untermalung. Dann nahm ich eine Postkarte und platzierte sie, so wie man das in einem Fotoalbum tun würde auf den gemalten, noch nassen Streifen, ließ die Farbe etwas antrocknen, nahm die Karte wieder raus und „schloss“ den Rahmen wieder, indem ich das Glas wieder vorne aufsetzte. Allerdings ließ ich die Farbe, wie gesagt nicht ganz durchtrocknen und die noch nassen Stellen wurden quasi zufällig durch das Pressen der Glasscheibe mit den Klammern von hinten auf das Glas abgedrückt. Spielerei innerhalb eines relativ offenen, selbstgesteckten Rahmens einer absurden gegenständlichen Malerei. Beispielsweise kann man dick oder/ und dünn malen, was unregelmäßigen Einfluss auf das Trocknen der Farbe hat. Man kann das Glas auch selbst bemalen, quasi so, als würde man zwei Seiten übereinanderlegen. Man kann die Farbe so zwischen Glas und Rückwand quetschen, dass die Farbmasse an der Seite herausquillt, man kann zwei Glasscheiben übereinander montieren, Farben neu mischen, etc.
Hinterglasmalerei auf eher unkonventionelle Weise, aber gleichzeitig mit den konventionellen „Rahmenbedingungen“ der beiden Objekte hantierend. Es gibt also eine konzeptionelle Ebene, die ich mir hinterher bewusst machen kann, aber der eigentliche Prozess, die Ideenfindung, die handwerklichen, technischen Entscheidungen während des Machens etc. kommen eigentlich weniger aus dem Denken. Ich könnte mir das gar nicht ausdenken.
Ok, aber jetzt zu deiner Frage, ob mich Störungen, wie wir sie zum Beispiel in der elektronischen Musik vorkommen und Glitch genannt werden, interessieren. Ja, mit der „Kunst der Störung“ kann ich was anfangen. Musik hat meine Arbeit als Maler immer begleitet. Musik als Kunstform liegt mir sehr nahe. Klang (-Wellen) und Licht (-Wellen) sind sich ja auch sehr verwand (in der deutschen Sprache zeigt sich das ja auch, beispielsweise spricht man von Farbklang etc.) und umgeben uns vor allem simultan, permanent und überall. Allein das ist für mich schon Grund genug, um sich dafür zu interessieren. Ich würde sagen, die ersten Kunst-Erfahrung, an die ich mich erinnern kann, hatte ich auch eigentlich mit Musik. Zu Hause wurde klassische Musik aufgelegt, und ich wurde als Kind mitgenommen zu Konzerten. Das hat mich sehr berührt und geistig Türen geöffnet. Allerdings war die Wiener Klassik und barocke Musik auch erstmal fast das Einzige, was ich zu hören bekam. Ich hatte dann irgendwann genug davon und habe geschaut, was danach so kam. Da hat sich dann ein großes „Rabbithole“ aufgetan, in dem ich bis heute (gerne) herumirre. Den zeitgeistigen Bezug dazu habe ich dabei oft irgendwie verpasst. Irgendwie ist mir bis heute der Anspruch, quasi vorsätzlich Zeitgeist in der Arbeit zu spiegeln eher fremd. Ich habe scheinbar oft keinen persönlichen Zugang zum sogenannten Zeitgeist meiner Zeit und konnte mich auch schon in meiner Jugend nie wirklich identifizieren mit dem, was wir Jugendkultur nennen. Ich habe auch nur wenig Zugang zu einem linearen (Kunst-)historischen Verständnis. In den 90ern habe ich zum Beispiel viel Musik gehört, die 20/30/50 Jahre zuvor gemacht wurde. Ich habe sie aber nicht als alte Musik erfahren, sondern als zeitgenössisch, da ich sie ja im hier und jetzt erlebte. So ging es mir unter anderem auch mit der elektronischen Musik. Während der Akademie- Zeit in Karlsruhe in den 90ern hatten wir Studenten teilweise Kontakt zur Hochschule für Gestaltung und auch zum dortige Musik- Konservatorium. Dort gab es Kollegen, die sich weitreichend beschäftigt haben mit elektronischer Musik. Für mich war das alles total neu. Im Vergleich zu heute war es aber ziemlich schwer, diese Musik überhaupt zu Ohren zu bekommen. Meistens ging es durch persönliche Kontakte und über home-recordings von Analog- Kassetten. Auch über Konzerte. Heute kann man sich das ja alles bequem mit einem Klick zugänglich machen. Also da ging es dann vor allem erstmal um die Pioniere der elektronischen Musik, mehr also experimentelle Musik aus den 60ern und 70ern. Die Leute von Musique Concrete, Pauline Olivers, Carl Stone, Laurie Spiegel, Bernard Parmegiani... aber auch um die minimal music aus New York in dieser Zeit mit La Monte Young, Steve Reich, Terry Riley. Danach gab es natürlich sehr viel neues, was sich darauf bezogen hat, und besagte Musiker(-Innen) leben ja sogar zum Teil noch und haben nach ihren Anfängen ihre Arbeit weiterentwickelt. Später in den 00er Jahren, als ich in Rotterdam war, habe ich dann eigentlich erst verstärkter Bands gehört, die Anfang der 90er schon aktiv waren. In Bezug auf deine „Glitch“-Frage, würde ich aber sagen, bei allen gab es „Glitch“ in irgendeiner Form. Störung scheinbar als Grundbedingung für einen künstlerischen Prozess. Und ja, die spielt auch in meiner Arbeit eine Rolle. Wenn wir von Störung reden, stellt sich natürlich die Frage: Störung von was? Das müsste man natürlich grundsätzlich im Einzelfall klären, da „Glitch“ in so viel unterschiedlichen Formen und zu so viel unterschiedlichen Kontexten und Umständen auftritt. Allgemeiner betrachtet kommt es mir allerdings so vor, daß immer auf die ein oder andere Weise eine Erwartung gestört wird, dies erkannt und mit einbezogen wird, und zwar sowohl beim Entwickeln einer künstlerischen Arbeit, als auch beim Rezipieren dieser. Im kreativen Prozess bekommt man sozusagen nicht, was man erwartet, und will das eigentlich auch nicht. Enttäuschung im positiven Sinne sozusagen. Es wird eine Erwartung oder auch eine Absicht geschaffen und dann wird sie aber nicht erfüllt... sie tritt abgewandelt, gestört, transformiert zu Tage. Dabei immer der Weg vom Gedanken zur Form und die Rolle der Technik, der Methode, die dabei eine Rolle spielt. Dann die Beobachtung, dass, wenn Störung der Erwartung zugelassen wird, also zum Teil des Prozesses, des Ganzen wird, sie nicht mehr als Störung im ursprünglich negativen Sinne erfahren wird. Hierarchien, Eindeutigkeiten lösen sich auf. Um nochmal auf die Intuition zurückzukommen, könnte man in diesem Zusammenhang vielleicht auch sagen, dass Logik gestört wird. Das Logische bekommt durch Unlogik ein Gegengewicht. Mir scheint, dass, was immer vom Bewusstsein und der Logik entschieden wird, jederzeit vom Unbewussten ignoriert und verworfen werden kann. Ein Beispiel (von unendlich vielen) aus der Musik: Steve Reichs Piano-Phase von 1967 (das habe ich Anfang der 90er zum ersten Mal auf einem Konzert gehört und ich war mächtig beeindruckt). Laienhaft beschrieben (wahrscheinlich kennst du ja die Komposition): Da hat man eine eingängige Phase (Melodie), eine Melodie- Stimme von ein paar wenigen Takten, die sich immer wiederholt. Die Wiederholung der Melodie schafft beim Zuhörer die Erwartung weiterer Wiederholungen der Melodie, man kommt in eine Art „Erwartungsgroove“. Zunächst wird diese Erwartung der Logik entsprechend erfüllt und man grooved eine Weile vor sich hin. Dann hört man plötzlich, dass diese Melodie- Stimme in Wahrheit aus zwei Stimmen besteht, die simultan gespielt werden. Man merkt es erst in dem Moment, wo das Timing der beiden gleichen Stimmen nicht mehr ganz „stimmt". Hier haben wir die Störung (der Erwartung). Beide Stimmen spielen weiterhin dieselbe Melodie, aber nicht mehr ganz synchron. Es verschieben sich langsam die Struktur gegeneinander und die Transformation beginnt. Es kommt mir paradox vor, wie eine Methode, die in ihrer Logik die Unlogik miteinschließt (keine Ahnung, ob so ein Gedanke philosophisch aufrecht zu erhalten ist). Das ist durch den Verstand weder zu vermitteln noch zu erfahren. Da habe ich sehr viel von gelernt auch in Bezug auf meine Malerei. Gelernt nicht im akademischen Sinne, immer vor allem erstmal empirisch, über die Sinne, durch Hinhören, und Hinsehen, durch Erleben.
NB: Ich dachte mir schon, dass Parallelen zur Musik für Dich interessant sein könnten! Welche Platten begleiten Dich denn im Moment bei der Arbeit?
Den Verweis auf Reich und Dein Interesse, als Maler von Kompositionsprinzipien der minimal music zu „lernen“ kann ich gut nachvollzuziehen. Ich sehe auch die Parallelen, die es vielleicht zwischen Reich und den Produktionsverfahren ‚störungsaffiner‘ elektronischer Musik der späten 1990er gibt. Dass Du jetzt aber auf eine Komposition verweist, die älter ist als Du selbst, passt natürlich wieder dazu, dass Du Dein künstlerisches Arbeiten und künstlerische Einflüsse, die Dich prägen, oft als ‚zeitlos‘ beschreibst. Musik war für Dich aktuell, wenn Du Sie aktuell erleben konntest, usf. Trotzdem zielte meine Frage hier bewusst auch auf Deine eventuelle Prägung durch die 1990er und die medienübergreifenden Fragestellungen künstlerischer Disziplinen dieser Zeit ab: Also vielleicht die Lust an einer diskreten ‚Störung‘ perfekter Formen und Oberflächen in einem ziemlich optimistischen Jahrzehnt oder, auch wenn das Deine Arbeit weniger betrifft, an der wachsenden Verfügbarkeit von Informationen und Datenmengen, die dann aber fehlerhaft dargestellt werden oder in einer technisch bedingt immer schnelleren, globalisierten Kommunikation in Übersetzungs- und Wahrnehmungsfehlern enden. Aber vielleicht gab es ja auch andere zeitspezifische theoretische Zugänge und Fragestellungen, die Dich während Deines Studiums in Karlsruhe geprägt haben?
Mir ist klar, dass Du Dich von aktuellen kunsttheoretischen Diskursen und Trends nicht so schnell beeindrucken lassen möchtest, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass das diskursive Umfeld die künstlerische Arbeit völlig unberührt lässt, und sei es nur, weil man sich davon abgrenzt. Außerdem bist Du ja an ‚Theorie‘ durchaus interessiert, und auch die Komponistinnen und Komponisten, die Du nennst, haben ihre Überlegungen zu ihrer Arbeitsweise in Texten verarbeitet.
AR: Du wolltest wissen, was ich gerade für Platten höre : Ich höre eigentlich ganz unterschiedliche Musik. Ich probiere neues aus und wähle je nach Stimmung. Ich entdecke eigentlich ziemlich oft tolle Musik, die neu für mich ist. Aber am meisten höre ich gerade Jazz. Oft freieren, improvisierteren Jazz. Meine Lieblingsplatten von dieser Woche : Jan Garbarek’s Quartet mit „Afric Pepperbird“ von 1971 , Mats Gustafsson’s Fire! Orchestra mit „Echos“ von letztem Jahr und James Newton’s „Axum“, 1981.
Du sprichst in deiner Mail nochmal die 90er an und die eventuelle Prägung, die diese Zeit auf meine künstlerische Entwicklung hatte. Die Frage nach Theorie und Praxis und wie diese zusammenhängen lese ich auch aus deiner Fragestellung heraus.
Ich glaube, ich bin da viel weniger Theoretiker, als du vielleicht meinst. Im Vergleich zu meiner malerischen Arbeit, rede und schreibe ich eher selten darüber. Ich halte keine Vorträge, oder formuliere Manifeste oder theoretische Abhandlungen. Selbst Bewerbungen für Stipendien oder ähnliches kommt bei mir nur sehr selten auf den Tisch. Neben den Gesprächen mit anderen Künstlern und Künstlerinnen, stellt unsere Korrespondenz hier im Vergleich zur praktischen Arbeit eher eine Ausnahme dar.
Ich habe, wie gesagt meine Malerei immer als etwas jenseits von Sprache verstanden. Damit einhergehend also sozusagen erstmal eine naturgemäße Theorie- losigkeit, da Theorie genauso naturgemäß an Sprache gebunden ist, wie es (meine) Malerei nicht ist.
Theorie, wie sie der Intellekt hervorbringt erschafft ja keine Malerei und eigentlich auch sonst keine Kunst. Theorie kenne ich in diesem Zusammenhang vor allem als begleitender Versuch, etwas mit dem Intellekt zu verstehen, zu erklären oder zu vermitteln, was aber eigentlich ursprünglich nicht aus dem Verstand kommt. Also etwas in eine andere Ebene zu übersetzen, eine Vermittlung und Reflexions- Übung, was natürlich sehr wohl seinen Platz hat. So findet Theorie auch bei mir statt und begleitet meine malerische Arbeit sozusagen im Hintergrund als bewußte Befragung meiner Erfahrungen, als Reflexion. In meiner Praxis folge ich aber momentan keiner Theorie oder einem Thema, weder einer von außen angenommenen Thematik noch einer selbstgesteckten. Ich bin also eigentlich nicht mehr interessiert und auch immer weniger in der Lage, aus einer (vorhandenen) Theorie, einem Thema, einem Narrativ eine Gestaltung derer abzuleiten. Das ist mir zu linear und mechanisch. Früher war das, wie ich schon mal erwähnt hatte, etwas anders. Da haben mich zum Beispiel philosophische Begriffe interessiert, wie der der Tautologie. Ich habe mir dann Fragen und Aufgaben dazu gestellt und versucht eine malerische Lösung dazu zu finden. Das war zwar sehr interessant, kam dann aber nie richtig raus aus einer Logik und kam mir immer unfreier vor. Heute ist es eher umgekehrt : Ich versuche eine eher Thema- und Sprach-lose Praxis, die dann etwas hervorbringt, was dann als Folge seine eigenen, neuen theoretischen Aspekte und Fragestellungen ermöglicht.
Ähnlich ist es auch mit dem Begriff des Zeitspezifischen (der 90er). Das sogenannte Zeitspezifische wird ja in der Rückschau auch immer anders bewertet und beschrieben als es in der eigentlichen Zeit der Betrachtung selbst erfahren wird. Wenn ich mich aber versuche zu erinnern, hatte ich natürlich schon immer auch theoretische Zugänge und Fragestellungen im oben genannten Sinne, aber im kulturhistorischen Sinne würde ich diese in der Rückschau nicht als zeitspezifisch beschreiben. Die Frage nach dem zeitspezifisch Relevanten erschien und erscheint mir irgendwie nicht so wichtig in Bezug auf die eigene Praxis. Ich hatte ein eher persönliches Anliegen, das sich, je mehr es nach innen gerichtet war, auch nur selten gedeckt hat mit zeitrelevanten Themen. Diese habe ich zwar schon wahrgenommen : Da gab es zu meiner Studienzeit und an meinem Studien-Ort ganz neu das Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe, mit seinem Fokus auf Multimedia, und neuen digitalen Technologien. Dein Verweis auf die wachsende Verfügbarkeit von Informationen und Daten, die fehlerhaft dargestellt wurden, usw. ist in der Tat sehr bezeichnend für diese Zeit und das ZKM mit seinen „Multimedialen“ war definitiv ein echtes Zentrum für diese Fragestellungen. Es gab auch andere Themen und Zeichen dieser Zeit, über die viel zu hören war : z. Bsp. Körper und Aids, oder auch „Kultur“ als Gegenstand der Kunst ( Ende 80er,Anfang der 90er) , oder Post Minimal, plötzlich war Fotografie überall zu sehen, und der Kurator nahm eine bestimmendere Rolle ein usw. Das habe ich zwar schon alles wahrgenommen, aber eher am Rande. Ich habe das je nach dem, als mehr oder weniger interessant empfunden, aber für mein Erleben blieb das, was als zeitspezifisch und relevant beschrieben wurde meist da, wo ich es vorgefunden hatte, nämlich in der Theorie, stecken und löste bei mir nur sehr selten persönliche Betroffenheit aus. Wenn es in Bezug auf die eigene Arbeit etwas auslöste, dann noch am ehesten, die Einsicht : wenn man auf diese Weise über Themen theoretisiert, Trends definiert, etc., dann sind das wohl Inhalte, die bereits geschaffen wurden, also muß ich sie nicht mehr selber schaffen.
Meine Fragestellungen bezogen sich also mehr auf das persönliche Erleben und auf den jeweiligen Zustand der eigenen künstlerischen Praxis und das Bedürfnis diese weiter zu entwickeln. Mehr nach innen gerichtet als nach außen auf die als Kultur -und gesellschaftlich relevanten Themen bezogen. Auch einhergehend mit einer Portion Skepsis denjenigen Stimmen gegenüber, die es sich zur Aufgabe machen, zu definieren, was nun zeitspezifisch relevant ( also von Bedeutung) sei oder nicht.
Seit Duchamp wird beispielsweise, wie wir wissen, immer wieder das Ende der Malerei ausgerufen. Klar gab es Argumente für diese Behauptung, die man nachvollziehen konnte, oder über die man zumindest streiten konnte. Aber dennoch handelt es sich um Theorie und Strategie, die Praxis und die Realität sieht wie immer anders aus, denn es wird immer noch gemalt wie eh und je, ohne daß man behaupten kann, Malerei sei als Kunstform nicht mehr relevant, überholt oder wertlos. Zumindest erfahre ich das so.
Du hast recht damit, daß aus meiner Haltung, mich nicht an kunsttheoretischen Diskursen, Themen und Trends zu orientieren, möglicher Weise eine Art Abgrenzung entsteht, aber eben nicht vorsätzlich und als Anliegen, sondern eher als natürliche Folge einer Selbstbefragung, dem Bedürfnis nach Authentizität und vor allem einer Praxis, die von ihrem Wesen her eben eher jenseits von diesen begrifflichen Ebenen besteht. Positionierung also nicht der Positionierung willen, sondern eher als Nebenwirkung. Abgrenzung nicht des Abgrenzen’s Willen.
Natürlich haben KünstlerInnen ihre Überlegungen und Arbeitsweisen in Texten verarbeitet. Das kann begleitend natürlich auch interessant sein. Aber für mich nichts im Vergleich zur eigentlichen Kunsterfahrung. Ich begegne immer wieder toller Kunst, ohne daß ich auch nur irgendetwas weiß über die theoretischen Abhandlungen darüber (vielleicht gibt es in vielen Fällen auch gar keine), und ich muß dabei erkennen, daß es dem eigentlichen Kunsterlebnis überhaupt kein Abbruch tut, vielleicht sogar im Gegenteil. Gerade unter den Malern und Malerinnen gibt es eine Menge toller Leute, die sich kaum äußern zu dem was sie tun, oder oft auch nur sehr unbeholfen ( kein Wunder). Die Theorie fällt dann eher uninteressant aus, während die Malerei eine enorme künstlerische Qualität haben kann.
Bei den Musikern fällt mir das noch deutlicher auf, da ich über Musik weniger weiß, als über Malerei. Ich höre ein Musik- Stück, über daß ich gar nichts weiß, ich kenne keinen historischen Kontext, ich weiß nichts über die Technik oder die Arbeitsweise, ich habe keine Ahnung über die Harmonie- Gesetzte, oder Kompositionsprinzipien, die dahinter stecken, etc. und trotzdem erlebe ich ohne jeden Zweifel großartige Kunst !
Das, was darin dann wirkt interessiert mich am allermeisten und ist mit der Ratio nicht zu fassen, so daß ich zu dem Schluß komme, daß ein Kunstwerk oder ein Musikstück nicht zur Kunst wird wegen dem möglicher Weise interessanten theoretischen Hintergrund dazu, sondern vielleicht eher trotz dessen oder zumindest letztendlich unabhängig davon.
NB: Dann lass uns doch noch einmal über die Arbeit am Bild selbst sprechen. Die Arbeit am Bild wird bei Dir ja oft im Bild selbst erkennbar. Als wir uns in Deinem Atelier über Deine Arbeiten unterhalten hatten, kamen mir gleich mehrere andere Disziplinen in den Sinn, deren Vorgehen oder Arbeitsbedingungen in Deinen Arbeitsprozessen anklingen. Da es bei Dir viel um das Freilegen überlagerter Farb- und Materialschichten und um Erkunden unerwarteter Reaktionen und Verteilungen von Material geht, musste ich manchmal an geologische Feldforschung denken (oder an das, was ich mir darunter vorstelle). In anderen Momenten hatte ich eher die langfristige architektonische oder städtebauliche Gestaltung der gebauten Umwelt vor Augen, das Ergänzen von Bauwerken, um es neuen Zwecken anzupassen, den Abriss von Gebäuden, um das Baumaterial anderweitig zu verwenden, das Trockenlegen von Stadtgräben, das Anlegen neuer Magistralen durch die Stadtlandschaft. Hast Du selbst auch bestimmte Disziplinen im Kopf, mit denen Du Deine Arbeit vergleichen würdest?
AR: Nein, ich habe eigentlich keine bestimmten Disziplinen im Kopf, mit denen ich meine Arbeit vergleiche.
Ich kann deine Vergleiche zur geologischen Feldforschung und zur architektonischen, städtebaulichen Gestaltung zwar nachvollziehen - zumal diese auch deinen Interessengebieten entsprechen - aber in meinen Arbeitsprozessen und auch in der rückschauenden Reflexion darüber, spielen Vergleiche zu anderen kulturell (be-) aner- kannten, nicht künstlerischen Disziplinen keine große Rolle, schon gar nicht habe ich sie „vor Augen“.
Am ehesten läßt mich deine Frage erneut an Phänomene unterschiedlicher Rezeptionsweisen meiner Malerei denken. Das sind Dinge, über die wir schon ansatzweise geredet hatten. Die Ausdrucksweise „etwas vor Augen zu haben“ beim Betrachten von Malerei scheint recht gängig, und ist in ihrer offensichtlichen Analogie zum Sehprozess in so fern interessant, als daß mit dem „etwas“ in der Regel garnicht die Malerei selbst gemeint ist ! Eigentlich beschreibt man mit dieser Aussage, so scheint es mir, eben gerade nicht, was man vor Augen hat, sondern etwas, an was man denkt.
Mein Zugang zu ( meiner) Malerei ist da, glaube ich grundsätzlich anders und ganz bewußt unverstellter vom Verstand und versucht zunächst eine unmittelbare, direkte, tiefergehende Erfahrung durch Sehen zuzulassen. Im Vergleich würde ich also eher sagen : „Ich habe vor Augen, was ich vor Augen habe“. Das klingt dem Intellekt zwar zu banal, nehme ich an, aber vielleicht ist es so sehr banal und offensichtlich, daß es einfach übersehen wird !? Das, was ich tatsächlich vor Augen habe, reicht mir zumindest vollkommen aus ( ich staune immer wieder aufs neue, was ich alles entdecke, wenn ich nur wirklich hinschaue). Wenn es nicht ausreicht, ist es meist Zeichen dafür, daß ich nicht gut genug hingeschaut habe, oder das Gesehene einfach nicht gelungen ist, also daß die spezifischen Eigenschaften nicht ungewöhnlich sind, nichts Neues erfahrbar machen. Die Malerei in meinem Falle steht also nicht für etwas anderes, sie ist nicht „so wie“, ist kein Instrument, nicht repräsentativ. Sie ist einfach, was sie ist, und die spezifische Qualität sollte so speziell sein, daß sie für sich bestehen kann. Deshalb neige ich auch eher dazu, sie nicht mit anderen Disziplinen zu vergleichen. Es geht ja im Grunde so zu sagen gerade um das Unvergleichliche, was die Arbeit haben sollte. Wenn ich merke, daß kein Vergleich wirklich hinhaut, daß kein Begriff wirklich zutrifft, daß keine Erklärung möglich ist,.. bin ich auf dem richtigen Weg.
Der Verstand allerdings ( selbstverständlich auch meiner) scheint dazu zu neigen in der Konfrontation mit (meiner) Malerei, die ohne Narrativ, Erklärung, deutlicher Gegenständlichkeit, ohne Botschaft ,Statement, ohne Thema .. auszukommen versucht, nach einer Art „Krücke“ zu suchen, die ein Zugang, ein Verarbeiten, ein Verstehen, vielleicht auch eine Art Rechtfertigung ermöglichen soll.
Ich persönlich traue dieser Hilfestellung nicht echt über den Weg. Ich glaube, hinsichtlich der möglichen Ansprache an den Intellekt des Betrachters, ist meine Malerei eher nichtsagend, leer und sinnlos. Eine Leere vermute ich, die der Verstand so nur schwer stehenlassen kann, eine Leere, die zu einer Projektions- und Interpretations- Fläche wird für den Verstand.
Der Prozess, der zu meinen Malereien führt kommt allerdings, wie gesagt, weniger ( bis gar nicht ) aus dem Verstand, und so finde ich auch persönlich keinen Zugang zu (meiner) Arbeit durch die Mittel des Intellekts. Es bleibt bei mir dann immer in der Peripherie hängen. Gedanken kommen zu Gedanken und mit jedem Gedanken bewege ich mich eigentlich immer mehr im Kreise und quasi spiralförmig immer weiter weg von der Malerei und vom Eigentlichen, also von einer (Seh-)Erfahrung im Raum des Unbekannten, die ich Kunst nenne. Ich schlage mir dann den Weg vom Denken zum Wahrnehmen vor, und da komm ich der Sache dann schon näher.
Die Ausflüge des Verstandes beim Betrachten der Malerei sind natürlich dennoch auf eine Weise natürlich, sinnvoll und sowieso nicht wirklich zu vermeiden. Für mich sind sie aber vor allem deshalb sinnvoll, da sie eine Art Holzweg darstellen, der helfen kann ..zurückzuführen zum Eigentlichen.
Was ich aus meinen Erfahrungen mit meiner Arbeit aber schon kenne und begrüße, ist ein freier Assoziationsraum, der sich öffnet beim Betrachten der Malereien. Ich erfahre die Assoziationen, die da kommen ( und gehen) immer als überraschend ( oder garnicht). Sie kommen irgendwie durch die Hintertür, unbeabsichtigt und flüchtig. Dies findet zwar teilweise auch auf gedanklicher Ebene statt, ist aber am ehesten vergleichbar mit dem Blick in die Wolken, in denen man etwas anderes als Wolken erkennt oder in einen Busch, in dem sich zufällig Strukturen zu einem nicht mehr „buschigen“ losgelösten Bild ergeben. Angesichts der Offenheit der Malerei sucht der Geist irgendwie immer nach dem Mimetischen so scheint es.
Außerdem gibt es natürlich sehr wohl Bezüge zu außerhalb des malerisch-/ künstlerischen Prozesses liegenden ( Seh-) Erfahrungen. Neben dem Gegenstandsbezug interessiert mich zum Beispiel - und das knüpft vielleicht an deine Vergleiche mit nicht künstlerischen Disziplinen an, nämlich ganz allgemein: Wie bestimmte Handlungen unbeabsichtigt und irgendwie sinnlos Bilder hervorbringen. Vor allem also die Bilder, die zufällig, quasi als Nebenprodukt irgendwelcher alltäglichen Handlungen entstehen. Also so was, wie plattgefahrene Gegenstände auf der Straße, auf dem Teller verwischte Restsauce, Fingerabdrücke auf dreckigen Autotüren, „Zeichnungen“ die man beim Eislaufen auf dem Eis hinterläßt, Abdrücke von Gegenständen, etc. Diese Erfahrungen finden in den Bildern sicher auf eine Weise ihren Wiederhall, und es ist hierbei dem Betrachter überlassen ob und wie er seine Erfahrung mit den Bildern wiederum einspeist und verbindet mit seinem kulturhistorischem Wissen.
Diese Dinge haben glaube ich mehr zu tun mit meiner Arbeit, als die von dir genannten Disziplinen mit ihrer kulturellen Geschichte, Bedeutung, und Funktion, auch wenn ich auch darin Bezüge erkenne, jetzt da du auf sie hinweist.
Mich interessiert allgemein, wie ein Bild entsteht, und was ich überhaupt als Bild wahrnehme. Der Kanal ist bei mir also vor allem die Bildhaftigkeit von Erlebten und nicht die Geschichte dahinter.
Es stimmt, was du sagst über die „Arbeit am Bild selbst“ und daß diese im Bild sichtbar wird und bleibt. Vor allem gilt das für die aktuellen Arbeiten auf und hinter Glas. Es gibt zwar auch MalerInnen, die den malerischen, handwerklichen Prozess versuchen weitestgehend unsichtbar zu machen, aber eigentlich ist das, was du beschreibst eine für Malerei typische Eigenschaft, die ja auch wieder zu tun hat mit meinem Interesse, wie eine Handlung ein Bild hervorbringt. Die Arbeit am Bild selbst bringt das Bild ja erst zum Vorschein und schafft im Grunde auch das Inhaltliche.
Die analytische Befragung der „Arbeit am Bild selbst,“ so wie du sagtest, findet bei mir oft zunächst in Bezug auf die sichtbaren Grundbedingungen der Malerei statt. Ich frage mich wie funktioniert, oder vielmehr, wie nehme ich die jeweilige Malerei wahr in Bezug auf ihre „Malerei-Parameter,“ wie Raum, Zeit, Colour / Paint, Komposition, Licht, Bildhaftigkeit, Objekthaftigkeit, Duktus, Struktur, Installation, Figur/ Grund, Oberfläche, .. etc. und wie wirken diese zusammen.
NB: Diese Überlegungen kann ich gut nachvollziehen, gerade was die „unbeabsichtigte“ Produktion von Bildern angeht, in der Bilder als nicht vorgesehene Nebenprodukte ganz anderer Handlungen entstehen. Darauf wollte ich hinaus…
Eine Sache ist mir nun im Verlauf unseres Gesprächs aber noch aufgefallen: Du lebst als Künstler aus Süddeutschland mittlerweile seit einigen Jahren in Berlin. Vor allem aber hast Du lange Jahre in Rotterdam gelebt. Du hast mir vom offenen Miteinander in der überschaubaren Rotterdamer Kunstszene erzählt und vom berühmten Licht der holländischen Malerei, dass Du eher hinter Nieselregen kennengelernt hast. Welche Spuren haben die Niederlande in Deiner künstlerischen Praxis hinterlassen?
AR: Ehrlich gesagt wollte ich am Ende meiner letzten Antwort mit meiner kurzen Auflistung der Parameter zur Befragung der „Arbeit am Bild selbst“ den Einstieg zu deiner nächsten Frage nahelegen, da ich finde, wir haben noch nicht so viel über die Malerei selbst gesprochen.
Aber ich höre natürlich auch das Interesse des Historikers durch bei so manch deiner Fragen. Ein Interesse an der Vita, den gesellschaftlichen, kulturellen Umständen, in denen künstlerische Arbeit stattfindet. Man könnte vielleicht sagen ein Interesse an der Geschichte zur Geschichte.
Ich fürchte leider, daß ich kein sehr guter Geschichtenerzähler bin und vielleicht nicht immer die deiner Frage entsprechende Antwort parat habe. Meine Neigung zurück zu schauen in der Zeit, auch der persönlichen Lebenszeit, mich zu erinnern oder die Erinnerungen anderer zu studieren ist bei mir nicht sehr ausgeprägt und meist eher mit Skepsis und einem gewissen Unbehagen verbunden.
Dennoch interessieren mich natürlich meine Lebensumstände, und dazu gehört selbst verständlich auch der Ort, an dem ich lebe, und der Kontext der Kunst (-Geschichte), in dem ich mich bewege. Mich interessieren aber dabei vor allem die Aspekte, die tatsächlich unmittelbar erfahrbar werden und nicht so sehr die Theorie, die Wissensvermittlung über etwas, etc.. Kunst-Geschichte zum Beispiel nicht ohne das direkte persönliche Erleben der betreffenden Kunstwerke. Bei einem Ort als erstes die Frage, wie ich ihn wahrnehme, und dann erst gegebenenfalls die nach dem Wissen und der Geschichten, die man über den Ort zusammengetragen hat.
Es sind also in der Regel die sichtbaren Umstände, die mich jeweils im gegenwärtigen Schaffens- und Lebens -Prozess umgeben, die dann möglicher Weise auch in die künstlerische Arbeit einfließen. Allerdings sind es ja auch sowieso nicht die äußeren Umstände, die die Malereien hervorbringen oder erklären könnten. Auch wenn das immer wieder suggeriert wird in so manchen Ausstellungstexten oder Musealen Aufbereitungen. Vielmehr sind es die inneren Zustände, und einfach das Malen selbst, die die Malereien hervorbringen.
So gesehen sind die Fragen nach meiner Karlsruher oder Rotterdamer Zeit, und was sie in meiner Arbeit für Spuren hinterlassen haben mögen, gar nicht so leicht zu beantworten für mich.
Allgemein gesprochen, denke ich, daß alles bewußt erlebte (und wahrscheinlich selbst das unbewußt erlebte) Spuren hinterläßt im weiteren Lebensverlauf. Da es Teil der persönlichen und künstlerischen Entwicklung wurde und das Bewusstsein erweiterte, schreibt es sich dadurch auch ein in die weitere Entwicklung, in die kausale Verkettung, die darauf wiederum folgt usw..Das geschieht ja selbst dann, wenn man, wie ich, eher versucht ist der Vergangenheit nicht so viel Aufmerksamkeit zu schenken.
Sicher hat also auch die Umgebung in Rotterdam, und wie ich sie damals erlebt habe, Spuren hinterlassen in meiner künstlerischen Praxis. Aber vor allem hat sie dies eben in der Zeit, in der ich tatsächlich dort lebte. Das unmittelbar Erlebte fließt ein in eine Arbeit, die wiederum an das unmittelbare Erleben apelliert, und nicht so sehr das Erinnerte, Vermittelte und (Nach-)Konstruierte. Also auch wenn ich davon ausgehe, daß meine Zeit in Rotterdam Spuren hinterlassen hat, kann ich diese aber dennoch kaum in einer konkreteren Art und Weise heute für mich nachzuvollziehen oder gar benennen, wo sie in der gegenwärtigen Arbeit sichtbar würden. Es ist jetzt rund elf Jahre her, daß ich dort weg bin, und ich habe kaum mehr zurück geschaut seit dem. Ich hatte eine intensive Zeit dort, aber sie ist vorbei, und Dinge, die mich seiner Zeit interessiert und inspiriert haben in den Niederlanden sind nicht mehr erlebbar in meinem jetzigen Alltag und spielen somit auch kaum eine Rolle mehr in meiner Arbeit. Eher ein Durchfließen lassen des Erlebten, als ein Festhalten. So eben, wie es mir beim Betrachten der Malereien, wie gesagt auch an aller erster Stelle um das unmittelbare Erleben geht.
Ich habe allerdings in diesem Zusammenhang den Eindruck, daß das Erleben alleine heute nicht mehr genug zu sein scheint. Mir scheint, Malerei wird tendenziell immer weniger wirklich erlebt, auch wenn das jetzt etwas pathetisch klingen mag. Nicht, daß das unbedingt bewußt behauptet würde, eher scheint es mir so, daß man nicht einmal mehr bewußt erlebt, daß man gar nichts mehr erlebt. Alles steckt im Kopf fest. Irgendwie eine Art kollektive Sinnesverstopfung, Sinnes- Abstumpfung und Überlastung. Ich habe da zum Beispiel die Museen vor Augen, in denen die Besucher scharenweise mit Blick auf ihre Smartphone vor Gemälden stehen. Für mich ein wirklich trauriges Bild. Malerei hat es da sehr schwer überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Vielleicht täusche ich mich da auch, das wäre in diesem Falle natürlich erfreulich. Aber zurück zu deiner Frage :
Meine malerische Arbeit beschäftig sich nicht sehr direkt oder gar historisch mit der Geschichte eines Ortes. Auf jeden Fall thematisiert sie diese nicht. Anders als bei andern Künstler:Innen, bei denen ein spezifischer Ort und seine Geschichte direkt den Inhalt , das Narrativ einer Arbeit bestimmt.
Als ich aus Süddeutschland mit einem Reisestipendium nach Rotterdam kam, erschien mir der Ort überraschend anders. Ich habe mich gefragt, warum das so sein mag. Ich denke unter anderem hatte es mit der Summe der sichtbaren Eigenschaften des urbanen Raumes dort zu tun gehabt, der sich irgendwie vom Bekannten unterschied. Andere Farben, andere Formen, anderes Licht, andere Materialien usw..Alles sehr ähnlich, aber doch irgendwie anders. Ich denke, ich erfahre Orte vor allem über die Sinne und dabei am meisten über das Sehen. Ein inneres Sammeln von Form-, Farb-, Licht- Material- Eindrücken. Ich schaue mir meine Umgebung oft in einer Weise an, in der ich ohne viel zu denken, also mit dem Versuch nicht geistig zu projizieren, eigentlich nur noch Farben und Formen, Licht, Raum sehe und erlebe. Ich schaue mir Dinge dann so an, wie sie erscheinen im jeweiligen Moment ohne sie mit Geschichten, Labels, Namen, Nutzen, Wissen zu verbinden. Ohne Sinn, Zweck und Verstand so zu sagen (.. wenn man sich so innerhalb des nötigen Funktionierens im urbanen Alltag verhält, kommt man allerdings in Schwierigkeiten- man muß sich wirklich stille Momente schaffen). So sammle ich dann quasi eine Vielzahl spezifischer formaler, ästhetischer Eigenschaften eines Ortes, die sich dann möglicher Weise in den Malereien und ihrem Gegenstandsbezug widerspiegeln werden. Zum Beispiel gab es einen ganz speziellen dunkelgrünen Farbton, mit denen die Fensterrahmen der typischen Giebelhäuser aus dem 17./18. Jahrhundert dort oft lackiert sind. Überall die gleichen grünen, hoch formatigen, oft gedrittelten Rahmenformen in den Fassaden. Typisch war auch, daß diese Rechtecke oft nicht mehr rechtwinklig waren, da stellenweise die alten Holzpfähle, auf denen die Häuser stehen kein Halt mehr bieten, und sich die Fassadenstruktur entsprechend verzerrt. Also ein spezifisches immer wiederkehrendes „Bild“ windschiefer Rechtecke in immer gleichem Grünton. Ich habe dann tatsächlich mal versucht Bilder zu malen mit genau diesem grünen Fensterlack und Bildformate gewählt, die nicht ganz rechtwinklig waren. Das mal um ein Beispiel zu nennen, von denen mir noch mehr einfallen würde. Irgendwie spiegeln die Malereien also den Ort auf diese Weise wieder, ohne, daß das meine Absicht gewesen wäre und auch ohne, daß ich diesen Bezug zu deutlich hätte werden lassen. Die Malereien hatten auf der einen Seite ganz direkt formal und kulturspezifisch mit dem Ort zu tun, an denen sie entstanden, waren aber auf der andern Seite eher universell, abstrakt und zeitlos erfahrbar. Eben kein Narrativ oder eine Thematisierung eines Ortes, und auch kein Abbild eines Ortes, sondern eher eine Abstraktion subjektiv wahrgenommener formelästhetischer Eigenschaften eines Ortes.
Natürlich gibt es auch die reiche Malereigeschichte der Niederlande und das von dir angesprochene, Holländische Licht, das nicht zuletzt in ihr sichtbar wird.
Selbst verständlich war ich in den Museen und habe mir die Cleaszs, Boschs, Rembrandts, Vermeers, Mondriaans, van Goghs, Breitners angeschaut um nur ein paar Namen zu nennen. Aber auch zeitgenössische Positionen, die sich innerhalb der besagten Tradition aufhielten, wie z. Bsp. Robert Zandfliet, Han Schuil, Toon Verhoef. Das ist alles tolle Malerei, und es war klasse, das alles vor der Tür zu haben. Was das gemalte Licht angeht habe ich da viele Unterschiede im Umgang damit gesehen und ich hätte meine Schwierigkeiten zu sagen, was jetzt typisch Niederländisch wäre.
Das real herrschende Licht habe ich meist erfahren als flach, dünn, gefiltert, grau. Alles erscheint flach, farblos, kontrastlos, unlebendig, neutral, diffus. Vielleicht eine Wirkung, die durch das Hin- und -Her des einfallenden Lichts zwischen Meeresfläche und oft dichten Wolkenschichten entstand.
Und dann mitunter die Dynamik eines dauernd wechselnden Lichtes, wenn es der Nordseewind mal schaffte, die Wolkendecken auseinander zu ziehen.
Das sind dann schon auch Lichtverhältnisse, die man in vielen Niederländischen (Landschafts-) Malereien des17. und 18 Jahrhunderts bis hin zu Bildern des Impressionismus sehen kann. Mein Ding war das ehrlich gesagt nicht wirklich und mir ging es da eher wie dem van Gogh, dem das Licht in Südfrankreich scheinbar lieber war.